Für diese Studie wurden zwei koreanische Komponisten ausgewählt und ihre Werke genauer untersucht: Isang Yun, der im Bereich der internationalen zeitgenössischen Kunstmusik tätig war und Byungki Hwang, der in der traditionellen koreanischen Musikszene hohe Anerkennung genießt. Aufgrund ihrer gegensätzlich ausgerichteten Spezialisierungen bieten die beiden Komponisten gute Voraussetzungen für eine vergleichende Erforschung ihrer interkulturellen Positionen.
Für die diskursive Beschreibung der komplexen musikalischen und gesellschaftlichen Kontexte beider Komponisten werden die soziologischen Begriffe "Integration" und "Hybridisierung" eingeführt: Entgegengesetzte Kräfte oder kulturelle Diskurse können entweder hybridisiert oder integriert werden. Die unterschiedlichen, nicht ausbalancierten Kräfte können entweder in ein beherrschendes Referenzsystem integriert werden (Integration). Dabei beherrscht ein stärkeres Prinzip ein schwächeres, so dass das schwächere seine Eigenständigkeit verliert und sich dem stärkeren Prinzip anpasst. Oder aber es wird der ausgeglichenere Zustand der "Hybridisierung" angestrebt (oder erreicht), in dem zwei oder mehrere Prinzipien gleichberechtigt existieren. Dadurch kann ein "dritter Raum" (Homi K. Bhabha) entstehen, in dem sich neue "hybride" Identitäten bilden können.
Die Musik dieser zwei Komponisten kann als Beleg für die These gelten, dass eine starke Konzentration auf bestimmte nationale und lokal gebundene Musiktraditionen nicht zwingend einen Widerspruch zur interkulturellen Kommunikation darstellt. Im Gegenteil kann eine fundierte Auseinandersetzung mit nationalen und lokalen Diskursen die interkulturelle musikalische Interaktion bereichern und ihr dadurch ein neues Profil verleihen.
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Zusammenfassung
Für diese Arbeit wurden zwei koreanische Komponisten ausgewählt und ihre Werke genauer untersucht: Isang Yun, der im Bereich der internationalen zeitgenössischen Kunstmusik tätig war, und Byungki Hwang, der in der traditionellen koreanischen Musikszene hohe Anerkennung genießt. Aufgrund ihrer gegensätzlich ausgerichteten Spezialisierungen bieten die beiden Komponisten gute Voraussetzungen für eine vergleichende Erforschung ihrer interkulturellen Positionen. Für die diskursive Beschreibung der komplexen musikalischen und gesellschaftlichen Kontexte beider Komponisten werden die soziologischen Begriffe „Integration“ und „Hybridisierung“ eingeführt: Entgegengesetzte Kräfte oder kulturelle Diskurse können entweder hybridisiert oder integriert werden. Die unterschiedlichen, nicht ausbalancierten Kräfte können entweder in ein beherrschendes Referenzsystem integriert werden (Integration). Dabei beherrscht ein stärkeres Prinzip ein schwächeres, so dass das schwächere seine Eigenständigkeit verliert und sich dem stärkeren Prinzip anpasst. Oder aber es wird der ausgeglichenere Zustand der „Hybridisierung“ angestrebt (oder erreicht), in dem zwei oder mehrere Prinzipien gleichberechtigt existieren. Dadurch kann ein „dritter Raum“ (Homi K. Bhabha) entstehen, in dem sich neue „hybride“ Identitäten bilden können.
Im ersten Kapitel der Arbeit werden die für Musik relevanten Aspekte der Religionsphilosophie und die damit verbundene koreanische Terminologie in Bezug auf die Musikphilosophien von Yun und Hwang dargestellt. Korea hat eine Vielzahl kultureller Merkmale aus den altchinesischen Kulturen übernommen. Diese wurden aber in die eigene Kultur eingebunden und zu eigenständigen Gestaltungsformen weiterentwickelt. So entstanden mehrere autochthone koreanische Religionen und Denkformen. Ab dem 19. Jahrhundert erlangten westliche Denkformen zunehmenden Einfluss. Das zweite Kapitel beschäftigt sich mit den Grundformen und den typischen Eigenschaften der traditionellen koreanischen Musik, die ihren Charakter im Laufe mehrerer tausend Jahre aus einer Vielzahl verschiedener Wurzeln entwickelt und in die Gesamtkultur eingebunden hat. Daher kann die traditionelle koreanische Musik nicht nur durch „Lernen“ verstanden werden, sondern auch durch „Miterleben“. Mit dieser Charaktereigenschaft bildet die traditionelle koreanische Musik einen klaren Gegensatz zur westlichen Musik. Auch wenn eine lückenlose Abgrenzung zwischen den typischen Merkmalen koreanischer und westeuropäischer Musik schwierig ist, wird in dieser Arbeit detailliert auf Phänomene und ästhetik der traditionellen koreanischen Musik eingegangen, um zu zeigen, in welchem Maße die Werke der beiden Komponisten die Authentizität traditioneller koreanischer Musik reflektieren. Das dritte Kapitel ist das Hauptkapitel der Studie, in dem auf Yuns und Hwangs Musik ausführlich eingegangen wird. Dabei werden die Biographien und die Philosophien beider Komponisten sowie ihre zentralen künstlerischen Fragestellungen dargestellt.
Yuns Musikdenken oder Musikphilosophie wird zunächst von seinem religionsphilosophischen Hintergrund aus betrachtet. Obwohl Yuns Ansatz ausschließlich auf westlichen Instrumenten verwirklicht wird, basiert er nachhaltig auf ostasiatischem Denken. Dies suggerieren zunächst die Titel seiner Werke, die Namen koreanischer Musikgattungen tragen. Yuns ästhetik entwickelte sich aus alten, überwiegend chinesischen Denkformen wie dem Buddhismus, Daoismus, Konfuzianismus und dem koreanischen Schamanismus. Yun versuchte in seinen Werken, die kulturellen Gegensätze zwischen zwei Musikwelten, der ostasiatischen und der westeuropäischen, zu verbinden. In seinen äußerungen kann man, vor allem ab den 1970er Jahren, auch sein Engagement für humanitäre Verantwortung und Menscherechte spüren. Der Schicksalsschlag der Entführung durch den südkoreanischen Geheimdienst und darauffolgender Gefangenschaft verstärkte diese Hinwendung zu gesellschaftlich-politischen Themen. Yuns Wunsch nach Frieden in der Welt, und insbesondere in Korea, wurde immer stärker zum entscheidenden Beweggrund für sein Komponieren. Seine späteren Werke thematisieren wiederholt die weltpolitische Lage und die Gefährdung der Menschenrechte. Vor dem Hintergrund einer ambivalenten Beziehung zu seiner Heimat sah Yun sich nicht nur als „Koreaner“, sondern als „Asiaten“. Yun identifizierte sich immer mit Asien, obwohl er später die deutsche Staatsbürgerschaft annahm. Die Einflüsse der europäischen Tendenzen der 1950er und 1960er Jahre in Yuns Musik können nicht übersehen werden, da Yun an der neuen Musikszene dieser Zeit aktiv teilnahm. In der Zeit der Postmoderne verschwammen die Trennungs- und Verbindungslinien zwischen ostasiatischen und westlichen Gedanken, ein Vorgang, der sich in der postmodernen Philosophie wiederfinden lässt. Zu diesem Zeitpunkt entwickelte sich in der neuen Musik Europas die „Klangflächenkomposition“, mit deren Techniken Yuns Musik häufig in Verbindung gebracht wird. Der Unterschied zwischen der Musik Yuns und Klangflächenkompositionen anderer Komponisten besteht darin, dass sich Yuns „Haupttöne“ oder „Hauptklänge“ zwischen den monistisch und heterophon gestalteten Klangströmen finden lassen, wobei der Hauptton oder Hauptklang nach dem Vorbild der traditionellen koreanischen Musik ornamental eingesetzt wird. Die Ornamente dienen in Yuns Musik demselben Zweck wie in der traditionellen koreanischen Musik, nämlich dem Bestreben, jeden einzelnen Ton für sich lebendig zu gestalten. Als konkrete Beispiele dieser Studie wurden Yuns Werke Piri, Gagok, Réak und Erste Symphonie analysiert.
Das Werk Piri für Oboe solo (1971) bezieht sein Tonmaterial aus der Zwölftontechnik. Zugleich spiegelt sich in ihm die Struktur der traditionellen koreanischen Instrumentalmusik Sujech’ŏn, und die koreanische Spieltechnik Sigimsae wird auf moderne, westliche Spieltechniken übertragen. In Réak für großes Orchester (1966) wird durch den Einsatz der Mehrklangpeitsche Pak und der schichtweise eingesetzten Hauptklangtechnik die traditionelle koreanische Hofmusik evoziert. Den Versuch einer interkulturellen überbrückung realisierte Yun durch die gleichzeitige Verwendung von Hauptklang- und Zwölftontechnik, die er mit einer spezifischen, ornamentalen Melodieführung der traditionellen koreanischen Musik verband, die er als „Pinselstrich“ bezeichnete. In Gagok für Stimme, Gitarre und Schlagzeug (1972) lassen sich sowohl die charakteristischen Eigenschaften der traditionellen koreanischen Vokalmusik Kagok als auch des Epengesangs P’ansori wiederfinden. Die „unscharfe“ Rezeption koreanischer Musik ist charakteristisch für Yuns Haltung. Der vertonte „Text“, eine Folge asemantischer Silben, enthält koreanische und chinesische Spuren. Auch darin zeigt sich das Prinzip der „Unschärfe“. Von seiner ersten Symphonie bis zur letzten Symphonie hält Yun an seiner humanistischen Denkweise fest. Seine Symphonien klingen eher milde und warme Klänge. Yun führte aus, dass die fünf Symphonien eine Synthese seines gesamten Werks seien. Dabei bleiben viele Fragen offen. Obwohl die ostasiatischen Religionsphilosophien Yuns Werk beeinflussten und sein Schaffen offener machten, folgen die Symphonien deutlich einem geschlossenen Formprinzip. Es scheint, dass in diesen Werken die überbrückung zwischen weit entfernten Kulturen verstärkt Probleme aufwirft. Die Entstehung eines kulturübergreifenden Kunstobjektes scheint utopisch. Yuns Gesamtwerk kann als ein Versuch der Auseinandersetzung zwischen zwei Musikwelten bezeichnet werden. Seine Werke lassen sich weder als typisch koreanisch, noch als europäisch identifizieren. Sie sind keiner bestimmten Kategorie eindeutig zuzuordnen. Daher kann man Yun in einem „dritten Raum“ (Homi K. Bhabha) verorten. Seine künstlerischen Gedanken und seine Werke können somit als hybridisiert bezeichnet werden. Isang Yun versuchte, seinen eigenen kreativen Raum, einen „dritten Raum“ zwischen Europa und Asien zu schaffen.
Demgegenüber versucht Byungki Hwang in seinem Schaffen die inhärente Authentizität der koreanischen Tradition einfließen zu lassen. Er hofft durch Musik seine eigene Kultur wiederzufinden und gleichzeitig weiterzuentwickeln. Sein Versuch ist aber nicht durch ein nationales Paradigma allein zu erfassen, sondern seine Werke verfolgen einen umfassenden Schönheitsgedanken, der auf die multikulturellen Ursprünge und Quellen der koreanischen Kultur rekurriert. Nach einer sechs Jahre dauernden Schaffenspause komponierte er 1974 sein Werk Ch’mhyangmu [Tanz im Duft von Aloe] für Kayagŭm und Changgo (1974), das auf musikethnologischen Grundlagen Elemente der indischen oder zentralasiatischen Kulturen mit den koreanischen Genres Pŏmp’ae und Sanjo verbindet. Diesen Gedanken verfolgte er in den folgenden Werken wie Pidankil [The silk road] für Kayagŭm solo (1977) weiter, und komponierte schließlich das experimentelle Werk Migung [The Labyrinth] für Kayagŭm und Frauenstimme (1979), das von der westlichen neuen Musik, insbesondere aber von Fluxus-Kompositionen, etwa von Nam June Paik oder John Cage, beeinflusst wurde. Hwangs Musik thematisiert daneben auch oft von Naivität geprägte Themen, die aus seinen Kindheitserinnerungen stammen. Zugrunde liegt der daoistische Gedanke, dass sowohl die sichtbare Natur als auch die Unbefangenheit jedes Menschenlebens gleichwertig sind.
Ein Künstler besitzt seine eigene, eigentümliche Denkform, welcher sich andere Künstler niemals vollständig nähern können. Diese Denkform wurde aus Sicht der ostasiatischen Religionsphilosophien als göttliche Eingebung definiert. Aus diesem Grund gingen die ostasiatischen bzw. koreanischen Künstler davon aus, dass ihre Werke Teil der Natur waren. Die Gelassenheit in der ostasiatischen bzw. koreanischen Kunst hat ihre Wurzeln in der daoistischen Philosophie, die niemals zwingend ist oder eine Absicht aufdrängt. Es gibt keine „Suche“ nach einer philosophischen Sichtweise, sondern das Sein verwirklicht sich in Harmonie. Im Daoismus kommt das Wort „vollkommene Harmonie“ immer wieder vor. Es wird dabei auf die Lehre verwiesen, dass das menschliche Leben so geführt werden sollte, dass die Menschen einen zufriedenstellenden Umgang untereinander und mit der Natur pflegen. Die Ablehnung des bewussten Handelns im Daoismus ist verbunden mit dem Gedanken, dass – egal ob man irgendetwas übermäßig betreibt oder nicht betreibt – das Ergebnis am Ende gleich ausfällt. Diese naturorientierte Musikphilosophie findet man in Hwangs Musik wieder. Beispielsweise wird in der traditionellen koreanischen Malerei eine leere Fläche (koreanisch: Yŏbaek) als die „Schönheit der Yŏbaek“ bezeichnet. Dieser Gedanke taucht in der Musik als Nachklang auf und wird auf Koreanisch Yŏŭm bezeichnet. Der Klang ist kaum zu hören, aber in ihm vollendet sich der „Geschmack“ einer Musik. Dieses Yŏŭm ist beim Spielen der Kayagŭm (Wölbbrettzither) sehr gut ausgeprägt. Solche ästhetischen Ursprünge versucht Hwang in seiner Musik wiederzugeben.
Hwangs Werke, in deren Mittelpunkt die Zither Kayagŭm steht, kann als „typisch koreanisch“ bezeichnet werden, da seine Komposition in ihrer inneren und äußeren Gestaltungsform ausschließlich koreanische Eigenschaften aufweist. Die typische koreanische Musik ist letztlich in der Stille zu finden, wobei durch Meditation ein harmonischer Zustand erlangt werden kann, dessen Hauptmerkmal aus unbewussten, intuitiven und ausbalancierten Denkformen besteht. Byungki Hwang fand seinen Platz als Erneuerer innerhalb der traditionellen koreanischen Musikszene. Sein Schaffen beruht auf einer integrierten Form der koreanischen Tradition. Seine Musik kann als eine anspruchsvolle Weiterentwicklung der traditionellen koreanischen Musikszene angesehen werden, verlässt deren Rahmen aber nur ansatzweise, so dass sie der Kategorie der „Integration“ zugeordnet werden kann.
Die Musik dieser zwei Komponisten kann als Beleg für die These gelten, dass eine starke Konzentration auf bestimmte nationale und lokal gebundene Musiktraditionen nicht zwingend einen Widerspruch zur interkulturellen Kommunikation darstellt. Im Gegenteil kann eine fundierte Auseinandersetzung mit nationalen und lokalen Diskursen die interkulturelle musikalische Interaktion bereichern und ihr dadurch ein neues Profil verleihen.
Inhaltsverzeichnis (Deutsche Nationalbibliothek)